Feb 04 2009

Jetzt geht`s wieder

Veröffentlicht von Fabian um 23:18 unter Mannschaft

Die Erste reagiert sich gegen Caissa ab

 

Man kann auch den ganzen Tag mit `ner Narrenkappe auf dem Kopf `rumlaufen.

Bernd Laubsch (zum Standpunkt, man könne in Verluststellungen versuchshalber Remisangebote unterbreiten)
 
Nach der Niederlage im wahrscheinlich aufstiegsentscheidenden Kampf gegen den HSK war die Enttäuschung natürlich groß. Aber wie lautet doch Olli Kahns Motto: Weiter, immer weiter! Wir nahmen uns für den sechsten Spieltag also Frustbewältigung vor und besannen uns darauf, dass es ja eigentlich sowieso nicht um schnöde Dinge wie Aufstieg, Sieg oder Niederlage geht, sondern um die Art und Weise, wie man das Spiel spielt … (heuchel).

Berufsbedingt mussten wir beim Auswärtsspiel in Wolfenbüttel auf Dietmar verzichten, und so sprang Joachim zum zweiten Mal als Ersatz ein. Seine Partie war die erste, die beendet war:

merretig-graf.jpg
Brett 8 Merretig-Graf

Das Diagramm zeigt die Stellung nach 15.Dg4+. Dieser Zug wurde von einem Remisangebot des Wolfenbüttlers begleitet, welches Joachim angesichts der Stellungswiederholung 15…Ke7 16.Dg5 Ke6 annahm. Hätte er alle Kandidaten geprüft (was ich selbst, wie wir noch sehen werden, immer ganz besonders sorgfältig tue), wäre er vielleicht auf den Computerzug 16…Dc8! mit klarem Vorteil gekommen.
Ein eher enttäuschendes Ergebnis zum Auftakt also. Kein Grund zur Besorgnis natürlich, denn unser Topscorer Marcel stand bereits wieder fett:

kyas-welz.jpg
Brett 7 Kyas-Welz

Das war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass ich an diesem Tag an mein Lieblingsbuch “Learn from the Legends” denken musste: Marcel hätte hier mit 21.Tc6! bereits entscheidenden Vorteil erzielen können; nach 21…Lxc6 22.dc angesichts des Freibauern auf c6 und der totalen Beherrschung der weißen Felder von Kompensation zu sprechen wäre eine glatte Untertreibung. Stattdessen folgte 21.b4, und Marcel gewann zwar in 45 Zügen, hatte aber die Chance verpasst, zum zweiten Petrosjan zu werden …

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Spassky-Petrosjan 1969

… obwohl er dieses und ähnliche Beispiele aus dem Schaffen des neunten Weltmeisters sicher kannte. Petrosjan spielte 30…Tc4! und gewann eine berühmte Partie.
Pit hielt es mit Bent Larsen. Sinngemäß hat der mal geäußert: “Was soll die ewige Blockiererei, manchmal kann man die Bauern doch einfach schlagen.” Genau:

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Brett 6 Pölig-Krökel

17…Sf5 gewann unspektakulär den d4 - Weiß stand vor einer Ruine. Es folgte noch 18.Sc5 Sfxd4 19.Se5 Sxe5 20.Txe5 Dd6 21.Th5 b6 22.Se4 Df4 23.Th3 Lb7 24.De1 Lxe4 25.Lxe4 Se2+ 0-1
Mats war an jenem Tag der verhinderte Rubinstein:
muske-mullerw.jpg
Brett 5 Müske-Müller,W

Hier hätte er sicher gerne den typischen Zug 31.g4 gespielt, um die ideale schwarze Bauernaufstellung f7-g6-h5 zu verhindern - wie der einst beste Spieler der Welt es unter anderem mal hier tat:

rubinstein-nimzowitsch-1920.jpg
Rubinstein-Nimzowitsch 1920
32.g4!
nebst späterem g5 und Festlegung des h7 (1-0, 60).

Darauf käme in Mats`Stellung leider 31…h5! und auf 32.gh Th8 mit Gegenspiel. Also probierte er lieber 31.h4, worauf Müller es verpasste, besagte Verteidigungsstellung einzunehmen. Allein daran lag es aber wahrscheinlich nicht, dass er schließlich in 73 Zügen niedergekämpft wurde.
Ein weiteres Turmendspiel hatte Stephan auf dem Brett. Obwohl Kraft zeitweilig über einen Mehrfreibauern mit dem Turm dahinter verfügte, stand das zweitjüngste Mitglied unserer Mannschaft da bereits besser:

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Brett 4 Kraft-Bradler
Wegen der Schwäche der Bauern h6, f4 und c2 wird Weiß eher früher als später in Zugzwang enden. Nach z.B. 38.Kd3 Tg3+ 39.Ke2 Tg2+ 40.Kd3 Tf2 geht der h6 verloren, woraufhin der schwarze König in Verbindung mit dem Hebel g6-g5 aktiviert werden kann. Kraft spielte 38.Th2, was nach 38…Tg4 39.Tf2 zum gleichen Ergebnis führte. 39…Kxh6 40.Ke2 g5 und hier machte ein Versehen Krafts dem Elend ein schnelles Ende, denn 41.f5 geht nicht: 41…Te4+ 42.Kd2 Txe5 -+. Auf 43.f6 kommt einfach 43…Tf5 (0-1, 55).
In Andrés Partie war der interessanteste Moment kein schachlicher:

zeltwanger-panskus.jpg
Brett 3 Zeltwanger-Panskus
Panskus hatte seinen letzten Zug 42…Tg6-g4 mit einem Remisangebot begleitet! Höchst diszipliniert fragte André daraufhin beim Mannschaftsführer nach. Mir fiel leider zu spät ein, seine Reaktion auf die Order “Annehmen!” zu testen. Vermutlich hätte mich mein Brettnachbar zumindest mit einem seltsamen Blick bedacht, schließlich gewinnt Karpow solche Stellungen sogar mit nur einem Mehrbauern:

karpov-van-der-wiel-1988.jpg
Karpow-Van der Wiel 1988
23.b4! und 1-0 in 63 Zügen.
Oder völlig ohne Mehrbauer:

alterman-karpov-1995.jpg
Alterman-Karpow 1995
26…Lb4 und 0-1 in 59 Zügen.
Wer jetzt einwendet, dass André nicht Karpow ist: Stimmt (er kommt erst ab Oberliga). André musste aber auch nicht gegen Van der Wiel oder Alterman spielen.
Ich persönlich setzte meine in letzter Zeit ziemlich schwankenden Leistungen fort:

oppitz-muller.jpg
Brett 2 Oppitz-Müller,F
21…La4?? rannte in 22.Lxg7 Kxg7 23.Da4+Dd4+, wonach ich beschloss, dass ich die lange Diagonale sowieso irgendwann blockieren muss - nicht ohne mich zum wiederholten Mal darüber zuärgern, dass meine Wunschdomain nicht mehr frei ist. 23…e5?! 24.Dxa4 Dxa4 25.Txa4 Tc5. Zeit, Bilanz zu ziehen: Weiß hat einen Mehrbauern. Sein Läufer sticht mit der Aussicht, irgendwann mal auf d5 aufzutauchen, meinen klar aus. Der Bauer a5 fixiert meine Damenflügelbauern angreifbar auf Weiß. Ich habe einen rückständigen Bauern auf d6. Die schwarze Stellung ist Asche. Es folgte 26.Td1 Txa5 27.Txa5 Lxa5 28.Txd6 Td8. Zeit, erneut Bilanz zu ziehen: Weiß hat einen Mehrbauern in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern (Remis, 52).
Stefan gewann überzeugend:

breuer-erdogan.jpg
Brett 1 Breuer-Erdogan
Zunächst wurde mit 45.b5 der Springer maximal eingeschränkt … 45…Kb8 46.f3 …und dann der Angriff am Königsflügel gestartet. Nach 46…Ta7 47.g4 Ta1 48.gh gh 49.Th6 fiel der h5; der Randfreibauer war natürlich nicht das Ding des Springers (1-0, 56). Woran sonst sollte diese Partie Erinnerungen wecken als an Bobby? Z.B. an seinen Sieg gegen Taimanov 1970:
fischer-taimanov-1970.jpg
Fischer-Taimanov 1970
46.Txc5 war das Ende einer Abwicklung, die Weiß einen extrem starken Randfreibauern einbrachte. Der weiße Minusbauer tat nichts zur Sache (1-0, 58).

7-1 also. Dennoch ein viel angenehmerer Mannschaftskampf als gegen Langenhagen, weil wir viel kürzer fahren mussten. Abschließend bleibt zu sagen, dass wir - Überraschung, Überraschung - Zweiter hinter dem HSK sind. Ergebnisse und Tabelle finden sich hier.

9 Kommentare to “Jetzt geht`s wieder”

  1. Stefan Breueram 05 Feb 2009 um 17:01

    Wahnsinn, wie unser Mannschaftsführer die Klassiker jederzeit abrufbereit parat hat. Wirklich sehr beeindruckend diese schachhistorische Bildung … In diesem Zusammenhang bedanke mich auch für den äußerst schmeichelhaften Vergleich mit Bobby! Denn das ist doch dieser antisemitische, Frauen verachtende Eigenbrödler, der nirgendwo auf der Welt ein echtes zu Hause hatte, sein gesamtes Leben ohne echte Freunde auskam und die letzten 35 Jahre nichts Sinnvolles mehr zustande brachte, bevor er kürzlich verstarb, oder? :-)

  2. Fabian Mülleram 05 Feb 2009 um 18:23

    Für alle nicht eingeweihten: Die Pfeile, die auf manchen Diagrammen zu sehen sind, haben sich durch eine m.E. völlig überflüssige Chessbase-Funktion dort eingeschlichen, als ich sie gerade gespeichert habe. Es sind nicht meine Zugvorschläge bzw. Pläne, auch wenn mir das angesichts meiner Partie wahrscheinlich keiner glaubt.
    @Stefan: Wollen wir mal zusammen einen Kaffee trinken oder so? :-)

  3. Marcelam 05 Feb 2009 um 19:22

    Vorab schonmal: Artikel sieht gut aus, danke!
    Bin grade erst bei meiner Beurteilung. Kannst es glauben oder nicht, aber ich hab ca. ‘ne halbe Stunde an Tc6 gerechnet. Einige Stellungen schienen mir etwas unklar und da die Sache noch nicht sooo klar schien und meine Stellung ja ansonsten in Ordnung schien, habe ich irg.wann die Berechnung abgebrochen. Risiko muss ja nicht sein. Wie wärs mit Lob? ;)
    Ich meine ich hätte entweder dir, Fabi oder Stephan sogar davon erzählt.
    Soo das als Rechtfertigung und ich les mal weiter ;)

    … Wer will schon Petrosian sein… ;)

    … Petrosian Partie ist das erste Beispiel im “Can you be a positional chess genius?” - Kenn ich daher und hatte ich damals sofort gelöst.

  4. Sven Hagemannam 05 Feb 2009 um 19:23

    Ich muss hier mal (wieder) den “Korinthenkacker” spielen….. bei Fabians Bericht haben sich zwei Fehler eingeschlichen:
    Einerseits muss es bei Stephan Bradlers Partie nach der Variante
    41…Te4+ 42.Kd2 Txe5 +- wohl eher -+ anstatt +- heißen, oder!?
    Zudem dürfte/sollte es wohl bei Oppitz - Müller, F. statt 23.Da4+ 23. Dd4+ heißen.
    Sorry, aber diese Korrekturen mussten sein….. ;)

  5. Stefan Breueram 05 Feb 2009 um 19:47

    @Sven: Wirklich? :-)
    @Fabian: Bei dir oder bei mir? Ich könnte dir dann auch meine Schachbuchsammlung zeigen …
    @Marcel: Willst du das Lob jetzt dafür, dass du ‘ne halbe Stunde offensichtlich sinnlos verbraten hast?!
    @Phrasenschwein: Zum Risiko: “Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?” kann auch mal wahr sein … Darüber hinaus kann durchaus auch der “Schein mal trügen” …
    Zu Petrosian: Ich gebe dir Recht, dass im Moment wahrscheinlich die wenigsten mit ihm tauschen wollen …

  6. Marcelam 05 Feb 2009 um 22:31

    -Jop, danke ;)
    -jojo das stimmt wohl
    und nochmal zum Kommentar über mir: Ist es so wie ich denke? :)

  7. Fabian Mülleram 05 Feb 2009 um 23:56

    @Sven: Stephans 41…Te4+ 42.Kd2 Txe5 war keine Variante, sondern die Partiefolge (Korinthenkack)

  8. BASTELam 08 Feb 2009 um 23:47

    Brett 8 Georg M e r e t t i g !

  9. Fabian Mülleram 09 Feb 2009 um 00:36

    Nimzowitsch würde sagen, dass dieser Kommentar keinesfalls eines humoristischen Beigeschmacks entbehrt.

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