Jul 05 2011

Zauber des Endspiels

Veröffentlicht von Andreas Klein um 23:37 unter Allgemein

War das Turmendspiel eigentlich die ganze Zeit verloren?

Detlef sinngemäß am Freitag beim Italiener nach meiner Klatsche im Dähnepokal
 

Hm, sagen wir’s mal so: wahrscheinlich nicht ;)

Braun-Klein nach 31.- Txd6
Vitali Braun (2337) - Andreas Klein (1975) nach 31.- Txd6

Da ich in Eröffnung und Mittelspiel nicht viel Gelegenheit hatte zu demonstrieren, wo der DWZ-Unterschied herkommt, musste ich dies ab hier im Endspiel nachholen:

32.Tc5 f6 33.f4 exf4 34.gxf4 Kd7 35.Kg3 Td4 36.b6 Txe4? (Kd8 oder Ke6 oder Ke8 oder Ke7) 37.Tc7+ Kd6? (Ke6) 38.Txb7 Kc6?? (Tb4) 39.Txg7 Kxb6 40.Txh7 Kc6 41.Tf7 Te6 42.Kg4 Kd5 43.Kf5 Te3 (Den h-Bauern benötigt Weiß hier schon nicht mehr, wie bereits am Freitag von Stefan und Fabian vorgeschlagen, gewinnen hier jetzt auch Kxf6 und Txf6) 44.Td7+ Kc6 45.Th7 Tf3 46.h4 Kd5 47.Td7+ Kc6 48.Tf7 Th3 49.Txf6+

Braun-Klein nach 49. Txf6+
Braun - Klein nach 49. Txf6+

Sicherlich hat Detlef eher diese Stellung mit T+f+h gegen T gemeint. Hier lautet die Antwort auf die Eingangsfrage noch “Ja”, was ja bei dem entfernten König kein Wunder ist. Die Tablebases erkennen hier ein Matt in 31. Aber nach 49.- Kd7 50.Th6 Ke7 51.Th7+ Kf8 52.Kf6 Kg8 53.Th5 Ta3 54.Tb5 Kh7 stand mein König plötzlich vor den Bauern. Allerdings ist die Stellung laut Tablebases immer noch gewonnen. Keres schreibt aber in “Praktische Endspiele” (Rattmann 1973, also ohne Tablebases): “Wenn Weiß als Mehrbauer den Läufer- und Turmbauern an demselben Flügel besitzt, so kann er überraschenderweise allgemein den Gewinn nicht erzwingen. Allerdings verlangt die Verteidigung hier große Genauigkeit und gute Schachkenntnis, da es besonders bei weit vorgerückten Bauern viele Stellungen gibt, die für Weiß gewonnen sind.”. Die Hervorhebungen sind von mir, womit schon klar ist, wie die Partie ausgehen wird ;) Und genau einen Zug lang lässt Vitali jetzt eine solche Remisstellung zu:

Braun-Klein nach 54.- Kh7
Braun - Klein nach 54.- Kh7

Hier gewinnen laut Tablebases nur vier weiße Züge und 55.Kg5 ist nicht dabei (stattdessen sollen es f5, Tb7+, Te5 oder Th5+ sein). 55.- Tg3+ (Schon hier zeigen die Tablebases 0.00 an, wohlgemerkt bevor der weiße König gleich an den Rand geht.) 56.Kh5 (Wie man leicht sieht, gibt es nach 56. Kf5 neun Remiszüge: Tg2, Tf3, Tc3, Ta3, Td3, Tg1, Th3, Kg7, Kh6; während Schwarz nach 56. Kf6 nur mittels 56.- Tg6+ auf Remiskurs bleibt.) 56.- Tf3 (Und schon nach einem Zug schließt sich das Remisfenster wieder. Wie man leicht sieht, hätten hier Tg2 und Tg1 das Remis gehalten ;) Wenn ich irgendwelche Systematiken erkennen könnte, so würde ich sie euch darlegen, aber da es mir an guter Schachkenntnis mangelt, muss ich euch auf andere Quellen verweisen, die ich unten im Anschluss an diese Partie zitieren werde.) 57.Tb7+ Kg8 (Keres a.a.O.: “In Endspielen mit Turm und f- und h-Bauern gegen Turm muss Schwarz unbedingt verhindern, dass sein König auf der letzten Reihe abgeschnitten wird, da derartige Stellungen im allgemeinen nicht zu halten sind.”) 58.Kg4 Tf1 59.f5 Tg1+ 60.Kf4 Th1 61.Kg5 Tg1+ 62.Kf6 Th1 63.Tg7+ Kf8 64.Tg4 Ta1 65.Tb4 Ta6+ 66.Kg5 Ta1 67.Kg6 Tg1+ 68.Kf6 Kg8 69.h5 Th1 70.Tg4+ Kf8 71.Kg6 Kg8 72.h6 Kh8 73.Te4 Tg1+ 74.Kf7 Kh7 75.f6 Kxh6 76.Th4+ Kg5 77.Th2 Tg3 78.Tf2 Kh6 79.Te2 Tf3 80.Th2+ Kg5 81.Kg7 1-0. Glückwunsch an Vitali zum Gewinn des Bezirks-Dähne-Pokals und viel Erfolg beim Verbandsentscheid im August!

In jedem meiner unzähligen Endspielbücher sind diverse Studien, Partien und Analysen zu diesem Endspieltyp enthalten. Müller/Lamprecht zitieren in “Fundamental Chess Endings” (Gambit 2001) Dvoretsky, der es für den Turnierspieler für ausreichend hält, die Verteidigungsleistung von Smyslov aus einer Partie gegen Gligoric (Moskau 1947) zu studieren. Die ganze 115-zügige Partie kann bei chessgames.com nachgespielt werden, das Endspiel T+f+h-T entsteht nach 69. gxh4.

Zusammenfassend schreibt Dvoretsky in “Die Endspieluniversität” (Chessgate 2002) zu dieser Partie: “In diesem Endspiel hielt Schwarz seinen König solange auf f7, bis die Gefahr gebannt war, auf die 8. Reihe zurückgedrängt zu werden. Erst dann ging er nach g7 und später nach h6, um den weißen Bauern anzugreifen. Eine allgemeine Empfehlung KOPAEVS lautet, den König vor dem am weitesten fortgeschrittenen Bauern zu platzieren. Das beste Feld für den Turm ist a1, von dort sind sowohl senkrechte, als auch waagerechte Schachgebote möglich. Sind die Bauern noch nicht so weit voran gekommen, ist die 5. Reihe ein geeigneter Platz für den Turm, manchmal sogar das Feld f1.”

11 Kommentare to “Zauber des Endspiels”

  1. Bernd Kimmicham 06 Jul 2011 um 07:23

    Ausgesprochen lehrreich bzw. leerreich; jedenfalls für mich.
    Was sagt denn die Theorie, wenn du statt mit dem König an den vorher auf c6 stehenden Bauern mit dem Turm hinter den Freibauern gehst? Ich kenn leider nicht die genaue Stellung doch du hattest da auch noch deine Bauern auf g + h, oder? Verlieren wird Schwarz sicher immer die beiden Pawn’s doch ist dein King dann nicht etwas besser plaziert und ermöglicht so eine eher remisliche Abwicklung?

    Es zeigt sich immerwieder, das derartige Endspiele immer lohnenswert sind, gedanklich aufgefrischt zu werden.

  2. Detam 06 Jul 2011 um 09:38

    Ich hatte an die Stellung vor 38.. Kc6 gedacht.
    Tb4 wäre da meine Wahl gewesen da der König jetzt zu lange zum rückwandern braucht.

  3. Andyam 06 Jul 2011 um 21:40

    Ja, ihr habt natürlich beide recht. Den König zielstrebig möglichst weit weg vom Königsflügel zu halten, zeugt nicht gerade von ausgeprägt guter Intuition und noch weniger von guter Schachkenntnis. Ich hatte ja schon oben in der Notation die Verbesserung 38.- Tb4 erwähnt, wonach ich den f-Bauern wahrscheinlich behalten hätte, was sicherlich bessere Chancen bietet als die gleiche Stellung ohne schwarzen f-Bauern :)

    Die Partie hätte ich übrigens ganz locker remis gehalten, wenn ich einen glorreichen Tipp aus einem weiteren Endspielbuch verinnerlicht hätte. Das Zitat hatte ich gestern weggelassen, weil ich sonst vor Lachen nicht mit dem Text fertiggeworden wäre. Das sei jetzt hier nachgeholt (aus Pantschenkos “Endspieltheorie und Praktik”, Caissa Chess Books 2001, S.219, Hervorhebung wieder von mir):

    Am schwierigsten sind die Stellungen mit f- und h-Bauern, Theoretiker haben nachgewiesen, dass die schwächere Seite das Remis schaffen kann, wenn ihr König nicht auf der achten (ersten) Reihe abgeschnitten ist und wenn er sich vor den Bauern befindet. In Turmendspielen muss die verteidigende Partei Stellungen anstreben, die ihr gute Chancen auf das Remis ergeben.

    So einfach kann Schach sein. Aber nur in Turmendspielen :)

  4. Fabianam 06 Jul 2011 um 22:01

    Dieses Buch ist, schon angefangen mit dem Titel, sowieso eine einzige Quelle der Erheiterung. Das obige Zitat war mir bisher nicht ins Auge gesprungen (vielleicht, weil ich so selten in das schlechteste Endspielbuch in meinem Besitz reingucke), aber es gibt eine Menge Sätze, die möglicherweise mit google übersetzt wurden.
    Immerhin war in diesem Endspiel “das Verfahren Frontangriff” ohne Bedeutung, und es war auch keins, in dem “der Bauer der stärkeren Seite von dem eigenen Turm von unten unterstützt wird”. Man kann aber definitiv mit Pantschenko übereinstimmen, wenn er sagt: “Das Nichtbeherrschen von derartigen Stellungen kann zu miserablen Folgen führen!” :)

  5. Sven Joachimam 06 Jul 2011 um 23:29

    Das Problem für Weiß nach 55.Kg5 Tg3+ 56.Kh5 ist, dass sein König am Rand eingeklemmt ist, weshalb er nach Tg2/Tg1 nicht gewinnen kann, obwohl er den schwarzen König mit Tb7+ auf die Grundreihe zurückwirft.

    Dvoretsky behandelt diesen Fall in einem anderen Buch, »Geheimnisse gezielten Schachtrainings« (Edition Olms 1993).

  6. Andyam 07 Jul 2011 um 01:02

    Ja, stimmt, das wäre auch eine Erwähnung wert gewesen: ausgerechnet die Stellung nach 56. Kh5 stellt eine Ausnahme der zitierten Regel zum auf die letzte Reihe abgedrängten König dar. Ich fand nur den Umstand interessanter, dass die Stellung auch noch Remis bleibt, wenn der König nach Tg3+ auf die f-Linie zurückkehrt. Wie Bernie es so schön formuliert hat: “derartige Endspiele sind immer lohnenswert, gedanklich aufgefrischt zu werden.” :)

    Das andere Dvoretskybuch steht hier nicht zwischen den Endspielbüchern, konnte daher gestern nicht konsultiert werden ;) Ich finde jetzt aber auch beim Durchblättern in der dritten Auflage keine Stellung T+f+h-T. In welchem Kapitel muss ich denn genauer nachschauen?

  7. Vitaliam 07 Jul 2011 um 10:07

    Im Prinzip hätte ich diese Partie ja am liebsten wieder aus meinem Gedächtnis gestrichen, nachdem ich in Eröffnung und Mittelspiel ja nur mäßig was geleistet hatte…aber das Endspiel war wirklich interessant und ich muss gestehen, dass ich während der Partie auch nicht wusste, welche Stellungen Remis und welche gerade noch gewonnen sind.
    Ich habe aber direkt nach der Partie auch eine Analyse durchgeführt und bin zu ähnlichen Resultaten gekommen, wie Andy. Interessant fand ich, dass das Ganze nach Kg5 Remis ist, solange meine Bauern noch auf der vierten Reihe stehen. Verschiebt man das eine Reihe weiter vor, ist das wieder gewonnen für Weiß (laut Tablebases). Prinzipiell scheint die Regel also richtig zu sein, dass der Verteidiger den König vor den Bauern des Angreifers hält. Aber wenn der weiße König vor seinen f-Bauern kommt und dieser bereits auf der fünften Reihe ist, dann scheint das immer gewonnen zu sein. Das ist die Regel, die ich mir aus der Analyse mit Tablebases ableiten konnte! ;)
    Deswegen gewinnt im obigen Diagramm nach 54. … Kh7 ja auch 55. f5!

  8. Marco Drewesam 07 Jul 2011 um 11:24

    Andy, du bist und bleibst meine schachliche und menschliche Instanz! Schade, dass es hier knapp nicht gereicht hat, aber sehr interessant war es trotzdem…

  9. Sven Joachimam 07 Jul 2011 um 15:59

    Andy: Teil II (Endspiel), Abschnitt »Die Bauern f und h« auf Seite 143-147. Allerdings habe ich hier noch die erste Auflage des Buches. Kann also sein, dass dieser Abschnitt in späteren Auflagen woanders ist oder ganz wegrationalisiert wurde.

  10. Fabianam 08 Jul 2011 um 12:12

    Ich habe auch die dritte Auflage, und dieser Abschnitt scheint tatsächlich rausgenommen worden zu sein.

  11. Stefan Breueram 08 Jul 2011 um 14:16

    Auch ich kann einen kleinen Beitrag zur Klärung der verschwundenen Seiten 143-147 beitragen, denn ich besitze die zweite Auflage (1996) dieses Klassikers und dort sind die von Sven beschriebenen Seiten exakt noch so vorzufinden wie in der ersten Auflage von 1994. Der “Schnitt” wurde also offensichtlich erst für die dritte Auflage vorgenommen.
    Wenn ich so an Sven, mich und Fabian denke, drängt sich da natürlich die Frage auf, ob es einen Kausalzusammenhang zwischen der Auflagennummer dieses Werks und der aktuellen Spielstärkezahl gibt. Falls ja, dann wird das Werk sich wohl nicht mehr allzu lange am Markt halten können … :-)

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