Jun 19 2011

Simon Tennerts Liebe zum Unentschieden

Veröffentlicht von Fabian um 22:04 unter Jugend

Wir haben sehr viel Arbeit in diese Niederlage gesteckt.

Max Merkel

 

In den Augen vieler Spieler ist ein Unentschieden ein durchaus akzeptables Ergebnis, dem Sieg näher als der Niederlage. Andere wiederum sehen in der Punkteteilung nichts anderes als den Verlust eines halben Punktes. Zu dieser Kategorie gehört tendenziell auch Simon, weshalb seine Bilanz bei der DJEM (+2 / Remis 6 / -1) auf den ersten Blick verwundert. Als Mitfavorit auf den Turniersieg gestartet, musste er bereits in der zweiten Runde ein Remisangebot in recht perspektivloser Stellung akzeptieren. Den Auftakt zu einer fast absurd zu nennenden Remisserie machte dann seine nächste Schwarzpartie gegen Lev Yankelevich.

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Yankelevich - Tennert nach 15.Sc3-e2

15…g6?! brachte die schwarze Stellung nicht weiter. Auf 15…g5, um das Feld e5 freizukämpfen, fürchtete Simon 16.Sh5. 15…0-0 war sehr gut möglich, denn 16.g5 müsste eigentlich noch durch h3-h4 vorbereitet werden (16…hxg5 17.fxg5 Sce5), was aber durch den Le7 unmöglich gemacht wird. Wegen des Sg3 ist De1 diesbezüglich nutzlos.
16.f5 Sde5 17.fxe6 fxe6 18.Sd4 Kd7 19.Sxc6 Sxc6 20.Se2 g5 21.b3 Thf8 22.Dd2 Lf6 23.Tad1 Le5 24.Sd4 ½-½

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Yankelevich - Tennert nach 24.Se2-d4

Mit dem König auf d7 war Simon das Weiterspielen zu heiß. Mit Weiß gewinnen und mit Schwarz remisieren - so hätte es am Ende wahrscheinlich zu 7 aus 9 gereicht. Dummerweise verschenkte Simon in der folgenden Runde eine glatte Gewinnstellung:

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Tennert - Koop nach 15…Sc6-d4

16.b4 mit der Idee c3 hätte für eine tragikomische schwarze Stellung gesorgt. Der Sd4 hat keine gute Rückzugsmöglichkeit, und das ist nur ein Aspekt der schwarzen Probleme. Es folgte 16.c3 Sc5 17.Ta3 Sc6 18.b4 Sxd3 19.Dxd3 Lg5 20.Ta6 Se7 21.g3 Lxe3 22.Lxe3 Sxd5 23.exd5 Lc8 24.Ta7 f5 25.f4 De8 26.fxe5 dxe5 27.d6 Dc6 28.Tc7 Da8 29.Ta7 Dc6 30.Tc7 Da8

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Tennert - Koop nach 30…Dc6-a8

Mit nur noch wenigen Minuten auf der Uhr geschah Simon das, was in der Psychologie als “neural hijacking” bezeichnet wird. Das Gespenst …Lb7-…Lh1-…Dg2# sorgte für das kurzfristige Aussetzen von Simons Rationalität und einen urinstinktlichen Fluchtreflex, in diesem Fall die Stellungswiederholung 31.Ta7?? ½-½.
Natürlich gab es nicht nur einen Gewinnweg, z.B. 31.La7 oder 31.d7 - der Bauer auf d6 ist schlicht zu stark. Sehr ärgerlich, denn die echten Kaliber standen noch bevor. Der Fluch der bösen Tat bescherte Simon in Runde 6 Schwarz gegen Jonas Lampert:

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Lampert - Tennert nach 34.Ta7-a1

34…Te1+ hätte den weißen König nach g3 getrieben und recht unkompliziert gewonnen. 35.Kf3 (35.Kf2 Txc1 36.Txc1 Sd3+) 35…e4+ 36.Kg3 Td1! Um auf Sxb3 …Td3 zu haben. Weiß ist quasi im Zugzwang. Auf 37.Ta5 gewinnt das Turmendspiel nach 35…Txc1, und ansonsten spielt Schwarz Kd5-c4 mit Gewinn.
Nach 34…f4+? 35.Ke2 stellte Simon mit 35…Tg1?? den nächsten halben Punkt weg. 36.Sxb3! Txa1 37.Sxa1 Sa4 38.b4 Sxc3+ 39.Kd3 Sd1 40.Sb3 Kd5 41.Sc5 h6 42.Ke2 Sc3+ 43.Kf3 Sb5 44.g3 Sd4+ ½-½

Noch war alles drin. In der siebten Runde wartete Jan-Christian Schröder, der zu diesem Zeitpunkt mit 5 aus 6 vorne lag. Mit einem Sieg hätte der einen Punkt dahinter liegende Simon wieder ausgezeichnete Chancen auf eine vordere Platzierung gehabt, also suchten wir nach einer Möglichkeit, das sehr solide Schwarzrepertoire des Hessen anzugreifen. Wir entschieden uns für die Yates-Variante im Spanier und hatten in der Vorbereitung beim Sammeln von Mittelspielideen unter anderem folgende Stellung auf dem Brett:

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Jakovenko - Marin, Torrelavega 2007

Marin hatte hier eigentlich 24…Sxd5 beabsichtigt, bemerkte aber noch rechtzeitig die Möglichkeit 25.Sxh6+! gh 26.exd5 Ld7 27.Dh5 mit starkem weißen Angriff. Marin spielte deshalb 24…Dd8 und gewann später, obwohl er zwischenzeitlich schlecht stand.
Leider verwarf Simon ein analoges Opfer in seiner eigenen Partie, weil die schwarze Dame auf der siebten Reihe ihn irritierte:

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Tennert - Schroeder nach 26…Sf6xd5

27.Sxh6+! hätte nach 27…gxh6 28.exd5 Lc8 (28…Ld7 29.Lxh6 Lf8 30.Dh5 Lxh6 31.Dxh6+-; 28…Lxd5 29.Lxh6 mit den Drohungen 30.Dg4+ und 30.Dxd5. Falls 29…Le6 , so 30.Df3+-) 29.Lxh6 Lf8 30.Dh5 Lxh6 31.Dxh6 f5 32.Dg6+ Kf8 (32…Kh8 33.De8+ nebst 34.Lxf5) gute Voraussetzungen für ein Spiel auf Gewinn geschaffen.

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Tennert - Schroeder (Analyse)

33.f4 (33.Lxf5 Lxf5 34.Dxf5+ Df7) 33…Ta6 (33…e4 34.Te3 gewinnt einen dritten Bauern auf d6, weil 34…Dg7 oder 34…Df7 praktisch erzwungen ist) 34.Df6+ (34.b4; 34.Lxf5 Lxf5 35.Dxf5+ Df7) 34…Df7 (34…Kg8 35.Te3) 35.Dd8+ De8 36.Dh4 und die geopferte Figur ist überkompensiert.
Statt der Annahme des Springeropfers wäre 27…Kf8 28.exd5 Lxd5 29.Sf5 mit weißer Initiative vielleicht die beste Antwort.
Die Partiefolge lautete 27.exd5 Lxf5 28.Lxf5 g6, am Ende stand ein Remis, das man sogar als glücklich bezeichnen muss.

Damit war jede Chance auf den Titel futsch. Eine Podestplatzierung wäre mit zwei Abschlusssiegen noch drin gewesen, aber über die achte (Remis - natürlich) und die neunte Runde (Simons einzige Null im Turnier) zu sprechen, verkneife ich mir mal. “Dabei sein ist alles” ist ein ziemlicher Loserspruch und auch nicht Simons Anspruch, deswegen sage ich mit Jörg Berger: Resignation ist der Egoismus der Schwachen! Nächstes Jahr wird wieder angegriffen!

Abschließend noch ein Satz in eigener Sache: Ich habe jetzt ein Navi. Die Generalprobe hat geklappt, wir sind problemlos hin- und zurück gekommen. Man kann jetzt also bei mir mitfahren und damit rechnen, dass die Fahrtkosten nicht plötzlich das Doppelte des Kalkulierten betragen ;).

3 Kommentare to “Simon Tennerts Liebe zum Unentschieden”

  1. Svenam 19 Jun 2011 um 22:30

    Schade, wir haben alle die ganze Woche über Simon all unsere verfügbaren Daumen gedrückt, aber leider hat das wohl nicht genug genützt :-(. Aber wie Du schon geschrieben hast Fabian: Es kommen auch wieder besser Zeiten, nächstes Jahr wird Simon sicher wieder angreifen!!! :-)

  2. Fabianam 12 Jul 2011 um 12:05

    Simon hat übrigens letzten Donnerstag beim Monatsblitz des SV Königsspringer seine Remisverliebtheit wieder aufgegeben. War ja auch klar, dass das nichts für die Ewigkeit sein würde :)

  3. Andyam 27 Jul 2011 um 23:23

    Über Simons Abschneiden bei der DEM war gestern ein Bericht von Sven in der Salzgitter-Zeitung.

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