Nov 22 2008

Plus Eins trotz gefühlter dreier Niederlagen

Veröffentlicht von Fabian um 00:20 unter Turniere

Zwei Chancen, ein Tor - das nenne ich hundertprozentige Chancenauswertung.

Roland Wohlfahrt
 
Vom 16. bis 20. November fand in Dresden der Deutschlandcup statt. In 15 DWZ-Gruppen wurde “KO + Schweizer System” gespielt; der Sieger jeder Gruppe wurde im KO-System ermittelt, wer ausschied, spielte im Schweizer System weiter. Die Teilnehmer hatten sich zuvor in speziellen Qualifikationsturnieren der Landesverbände ihre Teilnahme gesichert.
Als Rahmenprogramm hatten sich die Organisatoren ewas ganz besonderes ausgedacht: Teils zeitgleich mit dem Deutschlandcup fand im gleichen Gebäude die Deutsche Ländermeisterschaft der Jugend statt: In Achterteams bestehend aus Jugendlichen unterschiedlichen Alters und Geschlechts wurde in sieben Runden um den Titel gespielt. Darüber hinaus fand auch eine sogenannte “Schacholympiade” statt, zu der sich immerhin 114 Frauen- und 154 Männermannschaften einfanden, um in Viererteams 11 Runden lang einen Sieger zu ermitteln.

Im Ernst: So ‘ne Schacholympiade macht schon was her, und wer am Wochenende Zeit hat und noch nicht da war: Das Tagesticket kostet lediglich 9 Euro; wenn der live die Partien kommentierende Klaus Bischoff seine Phrasenschweinschulden zugunsten der Zuschauer begleichen würde, käme man sogar wesentlich billiger weg.

Tag Eins: Ich bin sowas von angefressen!

Ich trete als einer von zwei Niedersachsen in der höchsten Rating-Gruppe an: 2300 bis 2399. Als einzige der 15 Gruppen spielen wir ein simples Schweizer System ohne KO-Ausscheidung, weil dafür schlicht zu wenig Teilnehmer da sind.
Mein Erstrundengegner ist der an zwei gesetzte Raoul Strohhäker, ein junger Spieler vom Ooser SC. Er spielt mit Schwarz das Damengambit schlecht, ich habe nach knapp 20 Zügen eine klar bessere bis gewonnene Stellung. Zwischendurch verliere ich den Faden, macht aber nichts, weil mein Gegner die etwa ausgeglichene Sellung wieder in eine Verluststellung umwandelt. Dann passiert das hier:
 
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Mueller - Strohhäker
 
Zunächst ein Beitrag zur Elementartaktik: 37.Lxd5?? führt lediglich zu leichtem weißem Vorteil wegen 37…Dxd5 38.f5 Te8 39.fg Kxg6. Zeitnot schön und gut, trotzdem hätte man sehen können, dass 37.f5! nebst 38.g5 nebst Te4-h4+ einfach gewinnt, woran auch das Zwischenschach …Td1+ nichts ändert.
Aber wieso ist die Partiefolge eigentlich immer noch leichter weißer Vorteil, wo doch der Turm e4 gefesselt und angegriffen ist und dabei zusätzlich durch …Sf6 attackiert werden kann? Dazu die Taktik für Fortgeschrittene:
 
mueller-strohhaker_2-kleine-webansicht.jpg
 
40.h4 beendet die Zeitnot, aber auch die Partie. Stattdessen kann Weiß Figurenverlust vermeiden: 40.Kg2!!
Coole Sache eigentlich: Der König kommt aus der Ecke angerannt, um von f3 aus den e4 zu decken. Selbst wenn ich diese Idee gesehen hätte, hätte ich aber noch peilen müssen, dass Schwarz nun sofort mit dem Turm nehmen muss: 40…Txe4 (40…Sf6 mit der Idee 41.Kf3 Sxe4 42.Dc2 Tf8+ scheitert nämlich an 41.Dxf6! Kxf6 42.Tf3+, was den Turm e4 entfesselt und im nächsten Zug Txe8 ermöglicht; Weiß hätte dann zwei Türme für die Dame) 41.Dc2 Sf6 42.Kf3 und Weiß gewinnt die Figur zurück. Ob das entstehende Damenendspiel ernsthafte Gewinnaussichten bietet, habe ich noch nicht versucht herauszufinden.
Nach der Partiefortsetzung muss ich jedenfalls nach zwei weiteren Zügen aufgeben und kann mich statt über einen lockeren Weißsieg zum Auftakt über das Vergeben einer Riesenchance freuen.

Tag Zwei: Laaangweilig!

Nach dem schockierenden Verlauf der ersten Partie forciere ich durch Zugwiederholung ein Schwarzremis gegen den Ex-Bremer und Jetzt-Bayern Markus Lammers. Nach ungenauer Eröffnungsbehandlung des Weißen habe ich zwar die etwas bessere Stellung, aber auch keinen Bock, mit 0 aus 2 in ein solch stark besetztes Turnier zu starten - also besser den Spatz in der Hand. Schnauze, Phrasenschwein! Und alle Jugendlichen, denen ich mal was über Remisen erzählt habe: Don’t do as I do, do as I preach!

Tag Drei: Kackender Köter auf der Elbpromenade

Die dritte Runde beschert mir eine Weißpartie gegen den Hannoveraner Alexander Izrajlev. War die erste Runde schon frustrierend für mich, setzt diese Partie noch einen drauf:
 
mueller-izrajlev-kleine-webansicht.jpg
Mueller - Izrajlev
 
Mein Gegner hat die Eröffnung äußerst zweifelhaft behandelt, und ich habe ihn komplett überspielt. Statt nun mit 30.Sg4! zu gewinnen (30…Dg2Dh3 scheitert an 31.Lg2 mit Damengewinn, 30…Dd6 an 31.Lxh7! Kxh7 32.Dd3+ Kh8 33.Th5 und 33…g6 geht wegen des Matts auf h8 nicht), spielte ich 30.Sf5, was noch das Qualitätsopfer 30…Txf5 zulässt. Die 30 Sekunden pro Zug - Phase führte dann zu einem Finale, in dem ich so ziemlich alles übersah, wobei das folgende wohl das krasseste war:
 
mueller-izrajlev_2-kleine-webansicht.jpg
 
61.Db7 würde ziemlich billig mattsetzen. Stattdessen kam 61.fxg7??, was nach 61…Kxg7 immer noch gewinnen sollte, wenn man 62.Txf1 spielt und das Endspiel mit der Mehrqualität nimmt. Ich rate dazu, mich nicht persönlich darauf anzusprechen, wieso ich 62.De7+?? spielte, wonach 62…Lf7 wegen der exponierten Stellung des weißen Königs und des weißen Turmes kein Spiel auf Gewinn mehr ermöglicht. (Remis,71)

An diesem Tag ist eine Doppelrunde, also steht noch eine Nachmittagspartie an. Nach solch einem Desaster nicht gerade wünschenswert. Als weitere Hiobsbotschaft hat die Niedersachsentruppe in der DLM die siebte Runde gegen Nordrhein-Westfalen verloren - im Falle eines Sieges wären sie Turniersieger gewesen. Doch damit nicht genug. Nachdem ich in die Innenstadt gehastet bin, um etwas bezahlbares zu Essen zu bekommen, und mit einer Bratwurst in der Hand an der Elbe entlang zurück laufe, um es pünktlich in den Spielsaal zu schaffen, kackt vor mir ein Hund auf die Uferpromenade und sieht mir dabei auch noch direkt ins Gesicht, als wollte er mich provozieren. Guten Appetit! Gerade so um 15 Uhr betrete ich dann die Kongresshalle, um erleben zu müssen, dass statt des Anpfiffs der vierten Runde eine Modenschau läuft. Eine Modenschau!!! Die Runde beginnt über 20 Minuten zu spät, wegen einer Modenschau!!! Es kommt mir also gelegen, dass mein Gegner die Eröffnung recht ambitionslos spielt und mir nach 14 Zügen ein bequemes Schwarzremis anbietet. Ich überlege noch kurz, nehme aber schließlich an - blinde Wut tut selten gut. Schnauze, Phrasenschwein!

Tag Vier: Knigge ist tot

In der fünften Runde spielt mein Gegner mit Schwarz die gleiche zweifelhafte Variante wie Izrajlev in Runde Drei. So stehe ich schnell auf Gewinn:
 
mueller-scherer-kleine-webansicht.jpg
Mueller - Scherer
 
Hier spielte ich 16.d6. Die Alternative 16.Sxc7 Sxc7 17.d6, die wegen 17…Dd8? 18.Lxb6! funktioniert, wäre objektiv wahrscheinlich besser gewesen, aber ich hatte die Schnauze voll davon, mich während der Gewinnverwertung noch verarschen zu lassen, und nahm die Damen vom Brett. 16…cd 17.Dxd6 Dxd6 18.Lxb6.
Wie sich jeder denken kann, schwante mir immer noch schlimmes, denn irgendwie hatte ich das Gefühl gewonnen, gar nicht in der Lage zu sein, überhaupt eine Partie zu gewinnen, aus welcher Stellung auch immer. Und das bestätigte sich auch in diesem Fall! Ich bringe es fertig, meinem Gegner durch Übergang in ein Turm + ungleichfarbige Läufer - Endspiel prächtige Remischancen zu eröffnen. Dass er sich bemüßigt fühlt, trotz seines Minusbauern Remis anzubieten, stachelt mich aber wieder an. Und nachdem er anfängt, durch regelmäßiges Schnaufen und demonstrative Langeweile klarzumachen, dass er mein Weiterspielen für eine Zumutung hält, bin ich soweit, dass ich lieber verlieren würde, als irgendwann mal Remis anzubieten. Schließlich zweifle ich sogar an meiner Bereitschaft, ihm nach Partieende die Hand zu geben, weil er sich nach dem Genuss einer Milchschnitte geräuschvoll die Finger ablutscht. Erstmals im Turnier gibt es nach einer 30 - Sekunden - Bonus - Schlussphase dann ein echtes Happy - End für mich: Mein Gegenüber patzt im letzten Augenblick, und die Minus Eins, denen ich seit der ersten Runde hinterher renne, sind egalisiert.
Aus purer Dankbarkeit gehe ich am Abend in die Frauenkirche, um eine Kerze anzuzünden und … ok, zugegeben, ich konnte nur hin, weil Jörg Schulz, der Geschäftsführer der DSJ, Bernd Laubsch Eintrittskarten für ein in der Frauenkirche stattfindendes Orgelkonzert anbot, als ich zufällig daneben stand und Bernd auf mein Auto angewiesen war.

Tag Fünf: Lohn für den Kirchenbesuch

In der letzten Runde spiele ich gegen ein Mitglied des bayrischen Landesverbandes: Christian Schramm. War ich mir vor der Partie noch unsicher, wie ich auf ein frühes Remisangebot reagieren würde, bin ich mir nach vier Zügen sicher: Ich spiele! Denn nicht alle Tage bekommt man als Schwarzer den Anzugsvorteil mit 1.d4 Sf6 2.Sc3 d5 3.Lg5 Sbd7 4.f3 einfach so rübergereicht. Ob ich wirklich so viel draus mache weiß ich nicht, jedenfalls erreiche ich eine Stellung, in der mein Gegner ohne Kampf untergeht - was ja leider beinahe unabdingbar ist, damit ich überhaupt gewinnen kann.

Am Ende stehen also 3,5 aus 6, in dieser Gruppe sicher nicht übel und vor dem Turnier auch mein realistisches Wunschergebnis. Die Chancenauswertung allerdings war arm, und es wäre auch mehr drin gewesen., Aber was soll’s; Hauptsache, dabei gewesen. Denn die Atmosphäre, das Spielen an den Olympia-Brettern, eine bis zu meiner Abreise fantastisch aufspielende deutsche Mannschaft (erst nach Beendigung des Deutschland-Cups verloren sie ihr erstes Match gegen Israel) und natürlich das Elbflorenz Dresden waren die Reise gen Osten allemal wert!
 
Alle Ergebnisse des Deutschland-Cups finden sich auf http://www.deutschlandcup.org
Leider waren die Niedersachsen nicht sonderlich erfolgreich; Na ja, vielleicht beim nächsten Deutschland-Cup der nächsten Schacholympiade in Deutschland :-)

2 Kommentare to “Plus Eins trotz gefühlter dreier Niederlagen”

  1. BASTELam 22 Nov 2008 um 21:01

    HE Fabian als Teilnehmer beim D-CUP gab es doch die 6 Tage Karte für die OLYMPIADE
    für 17 EURO ! Da haste aber TEUER gekibitzt ! löl

  2. Fabianam 22 Nov 2008 um 23:17

    Als Deutschlandcup-Teilnehmer konnte man nicht nur die Sechs-Tage-Karte nehmen, sondern auch ermäßigte Tageskarten für 4,50€. Den werten Lesern dieses Blogs wird ein solches Privileg in Dresden aber wohl nicht gewährt werden, und ihnen bleibt daher nur die Tageskarte für 9€. Im übrigen hätte man als Deutschlandcup-Teilnehmer auch einfach nach der Runde gleich in der Kongresshalle bleiben und umsonst zugucken können, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre …

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