Nov 11 2007

Aller Anfang ist schwer …

Veröffentlicht von Stefan Breuer um 18:06 unter Allgemein

Die Erste verliert zum Oberliga-Auftakt mit 3,5:4,5 gegen die Bremer SG. 

Sonntag, 14.10.07, Amselstiegschule Salzgitter-Lebenstedt:

Ein Schachverein startet in die neue Mannschaftssaison. In den unterschiedlichsten Ligen ringen seine Mitglieder am Brett hart um jeden einzelnen halben Punkt. Es wird gescherzt, gejammert, philosophiert … Unter den Anwesenden befinden sich auch sieben Spieler der ersten Mannschaft des Vereins …

Wie bitte? Nur sieben Spieler?! Und das bei einer gerade aufgestiegenen und vermutlich bis in die Haarspitzen motivierten Mannschaft? Doch gemach, gemach! Hierbei handelt es sich keineswegs um die Vorboten einer ernsthaften Vereinskrise; vielmehr trifft eher das Gegenteil zu:

Von den besagten glorreichen Sieben hatten sich sechs allein des Zuschauens und der moralischen Unterstützung wegen diesen Tag freigehalten und extra den Weg nach Salzgitter angetreten, während der siebte sogar auch schachlich in der Zweiten mithalf! Ein durchaus beeindruckendes Schauspiel, das so einiges über die Stimmung und den Zusammenhalt in unserem Verein aussagt und darüber hinaus mir als Mannschaftsführer der Ersten zeigte, dass „meine Jungs heiß sind“ – demzufolge sah ich unserer eigenen ersten Bewährungsprobe eine Woche später bei der Bremer SG mit der entsprechenden Freude entgegen.

Ein Vereinsmitglied stellte beim anschließenden Essen den „Corpsgeist“ der Ersten heraus, doch die „Retourkutsche“ unserer Vereinsmitglieder ließ nicht lange auf sich warten und war zweifellos noch beeindruckender: Udo L. und Christian K. nahmen nach Wochenfrist mit dem eigenen Auto den Weg nach Bremen auf sich (!), nur um ebenfalls als Zaungäste bei unserem ersten Auftritt dabei zu sein. Unglaublich! Vielen Dank noch einmal für diese Unterstützung! 

In der Oberliga geht natürlich alles viel professioneller vonstatten als in der Landeliga. Die Auswärtsfahrten dauern länger, man muss bereits eine Viertelstunde vor Spielbeginn verbindlich die Mannschaftsmeldungen abgegeben haben, ein offizieller (und bezahlter) Schiedsrichter ist anwesend, die Mannschaften spielen fast immer in Bestbesetzung, und und und …

Da wollten natürlich auch wir professionelles Verhalten an den Tag legen und fuhren – selbstverständlich mit den ersten Acht – so enthusiastisch los, dass wir nicht nur 35 Minuten vor Spielbeginn unser Ziel erreicht hatten, sondern einer unserer Fahrer unterwegs (leider) sogar schon das erste „Mannschaftsfoto“ von staatlicher Seite machen ließ …

Die Stimmung im Auto war dennoch gut und wir freuten uns auf die vertraute Turnieratmosphäre. Doch auch mahnende Worte fanden Eingang in unsere Diskussionen: Keineswegs durften wir unsere Chancen so leichtfertig vergeben wie es die ehemaligen SF Salzgitter bei ihrem letzten Gastspiel in der Oberliga taten, als sie fünf der neun Kämpfe – teils sehr unglücklich – mit 3,5:4,5 verloren und letztlich in den sauren Abstiegsapfel beißen mussten. 

Die erste Ernüchterung stellte sich dann beim Betreten des Spielsaals ein:

Kein Gegner anwesend, vor allem aber auch kein Schiedsrichter! Letzterer kam dann um Punkt 10:44 Uhr und fragte sogleich, was genau hier eigentlich seine Aufgabe sei und wer überhaupt gegen wen spiele. Inhaltlich vertrat er zudem im Voraus die Auffassung, dass sich die Mannschaftsführer bei kritischen Entscheidungen doch bitte einig sein mögen, insbesondere, falls er selbst unsicher würde… Ach so. Dafür also die Bezahlung …

Leider hatten darüber hinaus unsere Gegner aus den verschiedensten Gründen erhebliche Aufstellungssorgen und traten praktisch „mit dem letzten Aufgebot“ an. Damit waren wir unverhofft sogar in der Situation, als nomineller Favorit in diese Begegnung zu gehen, was uns aus Erfahrung nicht immer zu Gute kommt. 

Was den schachlichen Teil der Veranstaltung betrifft, so möchte ich meine Ausführungen am liebsten eher kurz halten. Zu gern hätte ich sogar den großen Mantel des Schweigens ausgebreitet, aber das ist moralisch ja nun auch wieder nicht zu vertreten. Man steht schließlich nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens; trotzdem muss es ja irgendwie immer weitergehen. In der Niederlage zeigt sich bekanntlich die wahre Größe einer Mannschaft und heißt es nicht auch, dass man aus den eigenen Fehlern ohnehin am meisten lernt? Nun, gut: 

Den ersten halben Oberligapunkt der noch sehr jungen Vereinsgeschichte sicherte uns Ernst mit einem Remis am fünften Brett. In einer klassischen Caro-Kann-Variante gelang es ihm als Anziehendem nicht, einen weißen Vorteil nachzuweisen und so versandete die Stellung recht schnell in ein „trockenes“ Endspiel, das keinerlei berechtigte Hoffnungen auf einen vollen Punkt zuließ. 

Kurz darauf einigte man sich auch an Brett 4 schiedlich-friedlich, nachdem es zwischenzeitlich so aussah, als könne Mats als Nachziehender die Initiative übernehmen. Er hatte eine Kombination vorbereitet, die ein Qualitätsopfer für zwei Bauern beinhaltete, konnte sich schließlich aber doch nicht zu dieser Zugfolge durchringen. FRITZ hätte sich anders entschieden, überzeugt aber zumindest mich im Detail nicht gänzlich. Als Kommentator flüchtet man sich in so einem Fall bekanntlich in die Bewertung „unklar“ und ist damit fein ’raus. Mats hingegen hätte ggf. mit schwerwiegenderen Konsequenzen leben müssen, also keinerlei Vorwürfe, dass er sich für die „sichere Variante“ entschied. 

Wenig später musste an Brett 6 leider Joachim seinem Gegner die Kralle zur Aufgabe herüberreichen. Er begab sich als Nachziehender in eine typische Stellung mit einem Isolani auf d5 und versuchte nun seinen Gegner davon zu überzeugen, dass jener Bauer kein Schwächling, sondern vielmehr ein sehr starker Freibauer sei.

Um dieser Behauptung Nachdruck zu verleihen, gab er allerdings seine Damenflügelbauern auf, so dass er sich seinerseits mit zwei verbundenen weißen Freibauern auf a2 und b2 auseinandersetzen musste. In der Tat war sein eigener Freibauer nicht ungefährlich, denn er verstand es immerhin – unterstützt von seinem auf e2 postierten Läufer und bereits auf d3 stehend – die weiße Dame auf dem Feld d2 festzunageln. Doch im Gegensatz zur allgemein üblichen Auffassung erwies sich die weiße Monarchin in diesem Fall als gute Blockadefigur und ließ sich nicht vertreiben. Folglich entschieden die weißen Freibauern – begünstigt durch ein taktisches Übersehen Joachims – den Tag. 

An Brett 7 hatte Pit, der ein sehr frühes gegnerisches Remisangebot abschlägig beschieden hatte, eine für ihn typische „Alles oder Nichts – Stellung“ aufgebaut mit offenem eigenen König in der Mitte, dafür aber auch einer offenen h-Linie und zahlreichen Figuren auf dem Brett; es herrschte die reine Taktik. Mein Eindruck war: Entweder setzt Pit bald matt oder aber er kann in absehbarer Zeit aufgeben. Die Stellung wog hin und her, ohne dass eine Partei zunächst spielentscheidenden Vorteil erringen konnte. Nach und nach übernahm dann aber doch Schwarz die Initiative und Pit geriet auf die Verluststraße. Als sein Gegner der Anspannung des Kampfes nicht mehr standhalten konnte und Pit ein Angebot machte, dass dieser wahrlich nicht ablehnen konnte, endete jedoch auch diese Partie noch mit einer Punkteteilung. 

Ich befürchte, es ist an der Zeit, dass ich mich auch zu meiner eigenen Partie äußere: Nach ausgeglichenem und hochklassigem Verlauf endete das Spiel mit einem leistungsgerechten Unentschieden, das beiden Partnern zur Ehre gereicht … Blödsinn! Nochmal richtig:

Ich misshandelte als Weißer die Eröffnung, indem ich schnell und zielstrebig in ein für Schwarz (!) besseres Endspiel überging und dieses dann so anfängerhaft behandelte, dass ich einen Bauern verlor. Vermutlich „eingelullt“ durch meine indiskutable Spielweise, erlaubte es mir mein Gegner jedoch, so etwas wie Gegenspiel aufzuziehen. Als er dann durch ein taktisches Übersehen sogar Verlustchancen generierte, war es natürlich an mir, das Kompliment zurückzugeben. Ich war so darauf fixiert, eine Figur zu gewinnen, dass ich so Kleinigkeiten wie „vierzügigen Matts“ keinerlei Beachtung schenkte. Den ersten der vier Züge sah ich sogar noch, aber dass man auch mit einem stillen Zug ein (undeckbares) Matt vorbereiten kann, kam mir nicht in den Sinn. Warum auch? Schließlich hatte ich ja den Figurengewinn erspäht …

… der jedoch keiner war. Mein Gegner musste zwar nacheinander einige einzige Züge finden, aber warum auch nicht? Reicht ja! Am Ende musste ich dann sogar fast noch aufpassen, konnte aber wenigstens den halben Punkt retten.

Wie war das mit dem „Chancen nutzen“? Wenn man selbst ein vierzügiges Matt nicht sieht … 

In der Zwischenzeit sah die Gesamtlage alles andere als rosig aus: 

Fabian hatte an Brett 2 eine schwierige Positionspartie zu bestreiten, in der er als Nachziehender mit dem Springerpaar gegen das Läuferpaar hantierte. Als Faustpfand hatte er sich dafür die Bauernmehrheit am Damenflügel gesichert, die auf einen baldigen Freibauern hindeutete. Weiß brach zwar im Zentrum durch, ließ dann aber zu, dass Fabians Springer die weißen Bauern blockieren konnten. In (zu) großer Zeitnot griff Fabian jedoch taktisch daneben, was ihn eine Figur und damit auch die Partie kostete. Er versuchte zwar noch viele Züge lang, das Unvermeidbare im Mannschaftssinne doch noch abzuwenden, aber es gelang ihm mit Turm gegen Dame und jeweils g- und h-Bauern nicht mehr, seinen Gegner zu einem Fehler zu verleiten, der ihn in eine Festung entkommen ließe. Eine besonders bittere Niederlage … 

Der einzige echte Lichtblick aus unserer Sicht spielte sich an Brett 8 ab. Nach langjähriger Schachabstinenz gelang Dietmar ein souveräner technischer Sieg mit den schwarzen Steinen, der an seine „alten Zeiten“ erinnerte: Ein besseres Positionsverständnis als der Gegner, die richtigen Abtausch-Entscheidungen, das daraus resultierende „Einsacken“ eines gegnerischen Bauern und die tadellose Bewältigung des technischen Parts im Endspiel demonstrierten eindrucksvoll, dass er nichts verlernt hat. Spätestens nach dem Damentausch hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl, dass er diese Partie nicht gewinnen würde. 

Doch was nützt das alles, wenn die Mannschaftskameraden vierzügige Matts auslassen, Figuren einstellen oder …

… sich unverhofft doch noch bietende Siegchancen im Endspiel nicht verwerten.

Womit wir bei der letzten Partie wären: 

André holte an Brett 3 als Anziehender nicht viel aus der Eröffnung heraus und geriet in ein Endspiel mit je zwei Türmen, einem Läufer und fünf Bauern. Ich bin mir nicht sicher, ob er da nicht anfänglich sogar etwas schlechter stand. Aber dann kam es so, wie es in der vergangenen Saison so häufig der Fall war: Er fing an, den Gegner aus einer annähernd ausgeglichenen Stellung heraus langsam zu überspielen, ließ seinen eigenen König im tiefsten Feindesland (erfolgreich) auf Bauernraub gehen und hätte die Partie verdient gewinnen müssen. FRITZ steckt sich denn auch schon die Siegeszigarre an, während wir Menschen ja alle wissen, dass es kaum etwas Schwierigeres gibt als gewonnene Stellungen auch zu gewinnen. Und um uns in unserem Glauben zu bestärken, lieferte André einen erneuten Beweis dieser These ab und ließ letztlich noch eine gegnerische Remisabwicklung zu. 

3,5:4,5, Punkte weg! 

Wen von den ehemaligen SF-Mitgliedern unter uns überkam da angesichts dieses Verlaufs nicht ein Dejà-vu-Erlebnis? Wieder gut mitgehalten, wieder die Chancen nicht genutzt und letzten Endes wieder nichts im Sack!

In solchen Momenten versucht man ja immer, das Positive herauszukehren:

Ich gebe zu, es ist ein schwacher Trost, aber wir stehen trotz der Niederlage auf einem Nichtabstiegsplatz. Da wir in der vergangenen Saison bekanntlich von Beginn an den Aufstiegsplatz inne hatten, sollten wir abergläubischen Schachspieler  nun wirklich frohen Mutes in die Zukunft blicken können.

Schließlich folgt auf jeden Regen auch wieder Sonnenschein … 

Ein Kommentar to “Aller Anfang ist schwer …”

  1. Otto Hargesheimeram 13 Nov 2007 um 17:34

    Hallo Stefan,
    einen schönen und lesenswerten Bericht hast Du mal wieder zu Papier gebracht,
    ich jedenfalls lese Deine Artikel sehr gern. Da wird ja der nächste Beitrag von dem
    gewonnenen zweiten Punktspiel noch interessanter und ausführlicher werden.

    Mit Gruß

    Otto

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