Jan 19 2014

Die Normalität der Abweichung (Edit:mit Bonus)

Veröffentlicht von Fabian um 21:09 unter Mannschaft

Im klassischen Buddhismus werden Taten nicht als “gut” oder “schlecht” bezeichnet, sondern als “geschickt” oder “ungeschickt”. Geschickte Handlungen entstehen aus einem Gewahrsein der Einheit oder Ungetrenntheit.

Philip Kapleau

 

Beim heutigen Gastspiel in Hildesheim bekleckerte sich die Erste nicht gerade mit Ruhm und gab die erst am vierten Spieltag errungene Tabellenführung wieder ab. Dramatisches passiert ist natürlich noch nicht, gegen den nun nach Brettpunkten Führenden spielen wir noch, haben also alles in der eigenen, derzeit leider eher unzuverlässigen Hand.

Ein wichtiger Knackpunkt des Kampfes war das 0-1 statt des “normalen” 1-0 an Brett 1:

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Brett 1 Tennert-Ermel nach 26…Td8-d7

Nach Initiative aus der Eröffnung heraus steht Weiß nach riskantem Spiel des Schwarzen auf Gewinn. Das Einzige, was Schwarz retten kann: Weiß setzt aus. 27.g3?? Diesen - im wahrsten Sinne des Wortes - Aussetzer konnte sich Simon hinterher selbst nicht so recht erklären. Sogar hübsch gewonnen hätte 27.Txd7 Sxd7 28.Tc3 Sb6 29.Tc7, weil 29…Th6 an 30.Tc8 Sxc8 31.d7 scheitert. Aber auch sofortiges 27.Tdc3 reicht zum Sieg, 27.Le4 mit profanem Bauerneinsammeln auch. Von den “normalen” Gewinnversuchen, auf die man verfallen kann, ist nur 27.Tb3 nicht ganz überzeugend, weil die schwarzen Figuren es nach 27…Txc7 28.dxc7 Sc8 29.Txb7 Ke7 wieder mit den weißen aufnehmen können.
Maßlos angewidert vom Lauf der Dinge verlor Simon seine immer noch vorteilhafte Stellung dann sogar.

Bereits nach einer Stunde hatte es übrigens 1:1 gestanden, da Udo an Brett 4 schnell gewonnen hatte (davon habe ich nichts gesehen), Andy dagegen schnell verloren (das habe ich gesehen und zerre es gewohnt rücksichtsvoll nicht ans Licht der Öffentlichkeit ;).

Andres zähe Partie wurde in der Zeitnophase zu unseren Gunsten entschieden, in der Phase nach der Zeitkontrolle spielten noch Otti, Steffie, Stefan und ich. Während bei Otti das Gleichgewicht nie ernsthaft gestört war, gewann Steffie überzeugend (beides meinem oberflächlichen Eindruck nach). Bei Stefans Niederlage versteige ich mich nicht großartig zu Einschätzungen, eine vorteilhafte Stellung schien er zumindest nie zu haben. Das einzige Brett, von dem ich ganz sicher sein kann, dass Chancen ausgelassen wurden, ist meins. Zunächst mal exemplarisch einer der vielen schlechten Momente, die ich erdulden musste:

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Brett 2 Frank-Mueller nach 42…Ke7-f6

Statt 43.Td2 hatte ich ein Läufer vs Springer Endspiel befürchtet [z.B. nach 43.Le4 Txg2 44.Lxg2 Sa5 45.Ld5 ], das hätte nun wirklich keinen Spaß gemacht. Nach der Partie hatte ich aber tatsächlich Grund, mich über das letztliche Remis zu ärgern, denn nach 43…Se7 44.Le4 Sf5 45.Lxf5 Kxf5 46.Td5+ Ke4 47.f5 Tg2 48.Kh6 Tf2 49.Kxh7 Txf5 50.Txd6 Tf2 [50…Kxe3 51.Td7 b6 52.Txa7 Kd3 53.Ta6 Tf6 54.a4=] 51.b4 Ta2 52.bxc5 Txa3 53.Td7 Tb3 54.c6 bxc6 55.Txa7 hätte ich echt noch zum Mannschaftssieg gewinnen können (jaja, Steffie spielte da noch seine Gewinnstellung, aber der Sieg war ja schon seit langem eingeplant ;)).

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Frank-Mueller nach 55.Td7xa7

Da geht man Risiken ein, verschmäht stille Remisangebote in annähernd verlorenen Stellungen, und dann, wenn die Chance da ist, geht man einfach dran vorbei…

55…Tb4?? [55…Kxe3 56.Tc7 Tb6 57.c5 Ta6 58.Kg6 Kd4 59.Kf5 Kxc5 60.Ke4 Ta3 61.Tc8 gewinnt - ich berechnete diese Variante gar nicht ernsthaft, einerseits wegen der wenigen Zeit, andererseits wegen eines völlig oberflächlichen “nach 55…Kxe3 greift er den c6 an und es ist Remis”-Gefühls] 56.Te7+ Kf5 57.Tf7+ Kg5 58.Tf4 Tb7+ 59.Kg8 Te7 60.Td4 Txe3 61.Td6 c5 62.Td5+ Kg6 63.Td6+ Kf5 64.Kf7 Te5 65.Td8 Ke4 66.Kf6 Th5 67.Ke6 Th6+ 68.Ke7 Th5 69.Ke6 Te5+ 70.Kf6 Tf5+ 71.Ke6 Te5+ ½–½

Falls die “Vernachlässigten” Udo, Andre oder Steffie besondere Momente ihrer Siegpartien hier sehen möchten: Herschicken, hänge ich dran!

 

Bonus: Partiefragment Steffies

 
Ergänzend hier noch das Ende von Steffies wichtigem Sieg, der uns immerhin das 4-4 sicherte. Ich hätte eine ganze Bravo-Diagramm-Lovestory erstellen können zum Thema “Richtige Bauernzüge-falsche Bauernzüge” - das scheint mir das beherrschende Thema dieser Partie gewesen zu sein. Dementsprechend die drei entscheidenden Verstöße gegen den weisen “mache keine Bauernzüge, wo du schwächer bist”-Rat, die die Stellung zu Steffies Gunsten kippten:

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Freier - Langenfeld nach 25…Dd6-f6

26.f3 Nr.1 g5 27.g4 Nr. 2 Lg6 28.Kg2 Tf8 29.Th1 Tef7 30.Se1 Th8 31.Te2 Te7 32.Df2 h5

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Nach 32…h6-h5

33.h4 Nr.3 und endgültig zu viel. hxg4 34.hxg5 Dxg5 35.f4 exf4 36.Txe7+ Dxe7 37.Txh8 Kxh8 38.Dxf4 Dh4 39.Db8+ Kh7 40.Dxa7+ Kh6 41.Kf1

freier-langenfeld-nach-41kg2-f1.jpg
Nach 41.Kg2-f1

41…Dh1+? Passender Weise hätte nun ein naheliegender Bauernzug die Gewinnführung abgekürzt.
[Steffie: 41…g3!–+ hätte mir das Leben erleichtert und allen Kiebitzen das Warten verkürzt. 42.Dc7 Df6+ 43.Ke2 Db2+ 44.Kf3 Df2+ 45.Kg4 Lf5+ 46.Kh4 Dh2#] 42.Ke2 Dh2+ 43.Kd1 g3 44.De7 Df2 45.Kc1 g2 46.Sxg2 Dxg2 47.Dh4+ Kg7 48.De7+ Kg8 49.Dd8+ Kf7 50.Dd7+ Kf6 51.Dd6+ Kf5 52.Df8+ Ke5 53.Dg7+ Kd6 54.Df6+ Kd7 55.Dg7+ Ke6 56.Dg8+ Kf5 57.Df8+ Kg4 58.Dc8+ Kg3 59.Dc7+ Kh3 60.Dc8+ Kh2 61.Dc7+ Kh1 62.Dd6 Kg1 63.b4 cxb4 64.Dxb4 Df1+ 65.Kb2 De2+ 66.Kc1 De3+ 67.Kb2 Lxd3 68.Dc3 Kf2 69.Df6+ Ke2 70.Dc3 Dd2+ 71.Dxd2+ Kxd2 72.Kb3 Lc2+ 73.Kb4 Kd3 74.a3 Kd4 75.a4 Lxa4 76.c5 b5 0-1

Ein Kommentar to “Die Normalität der Abweichung (Edit:mit Bonus)”

  1. Fabianam 21 Jan 2014 um 21:50

    Extra,Extra :)

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