Feb 02 2008

Regieren durch Opposition-Die Kunst der Bauernendspielführung

Veröffentlicht von Stefan Breuer um 12:14 unter Allgemein

Der weniger erfahrene Schachspieler könnte sie aufgrund des stark reduzierten Materials leicht für die einfachste aller Endspielarten halten: Bauernendspiele. Doch wer sich jemals ernsthaft mit ihnen auseinander gesetzt hat, der weiß, dass gerade diese alles andere als simpel sind. Wie viele Schachspieler brachten sich schon durch einen verfehlten Übergang ins Bauernendspiel selbst um den Lohn ihrer Arbeit und mussten anstelle der eingeplanten “1″ sogar eine “0″ in der Turniertabelle hinnehmen, weil sie bei ihrer vorangegangenen Berechnung ein winziges Detail nicht beachtet hatten.

Gründe gab es also genug, um diese schwierige Thematik auch bei unserem Vereinsabend einmal auf die Agenda zu setzen, und so war es kein Zufall, dass sich FIDE-Meister Fabian Müller in seinem gestrigen Vortrag gerade den Bauernendspielen - gewissermaßen der Mutter aller Endspiele - widmete.

Doch wer erwartet hatte, er könne sich den ganzen Abend genüsslich auf seinem Stuhl räkeln, dem referierenden Meister zuhören und gelegentlich “wissend” nicken, der irrte sich gewaltig:

Nach einer kurzen Wiederholung der gängisten Oppositionsarten und elementarsten Beispiele am Demo-Brett war jedermann selbst gefordert, in Zweier- oder Dreiergruppen die von Fabian in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellten Aufgabenblätter zu bearbeiten. Da man hinterher die Lösung selbst vorstellen sollte, versprach die bloße Vortäuschung geistiger Arbeit keinen Ausweg aus dem Dilemma, sondern man musste wohl oder über wirklich selbst “ran”.

Und siehe da: Nahezu alle Anwesenden entwickelten tatsächlich den Ehrgeiz, sich in die Aufgaben zu “verbeißen”, um schließlich verwertbare Ergebnisse präsentieren zu können. Der unterschiedliche Schwierigkeitsgrad der ausgewählten Aufgaben sorgte dafür, dass man einerseits seine mehr oder weniger zahlreichen Erfolgserlebnisse feiern konnte, man andererseits  aber auch die Faszination für das Schachspiel bzw. sogar “Demut” vor dem Schachspiel aufs Neue spüren konnte.

Die insgesamt drei Gruppenarbeitsphasen, die lediglich von der zwischenzeitlichen Präsentation der Ergebnisse unterbrochen wurden, ließen nicht nur die drei Stunden (geplant waren ursprünglich deren zwei …) wie im Fluge vergehen, sondern trugen zweifellos auch dazu bei, das Gelernte besser im Gehirn zu speichern als dies bei einem rein informierenden Vortrag der Fall gewesen wäre.

Einziges “Manko” der Veranstaltung: Mit 14 Teilnehmern war sie zwar nicht schlecht besucht, jedoch hätten sicherlich wesentlich mehr Schachfreunde von dem dargebotenen Material profitieren können. Daran mag auch ein wenig die Ankündigung “Schuld” gewesen sein, dass der Vortrag sich in erster Linie an Spieler mit einer DWZ bis 1600 richte. Die bei mir persönlich z.T. auftretenden Probleme mit den Aufgaben hätte ich mir vielleicht noch damit erklären können, dass meine momentane schachliche Verfassung eben gerade dieser Spielstärke entspricht, jedoch versicherten mir auch die anwesenden “1900er” und “2000er”, dass auch sie sich z.T. in der falschen Veranstaltung wähnten …

Doch wenn man hörte, wie souverän hinterher die ursprünglichen Adressaten des Vortrags mit Begriffen wie Nah-/ Fern-/ und Diagonalopposition, Umgehung oder Dreiecksmannöver um sich warfen, steht außer Frage, dass dieser unterhaltsame Abend nicht nur allen Teilnehmenden viel Freude bereitet hat, sondern darüber hinaus auch dazu beitrug, das schachliche Niveau des Vereins zu erhöhen. So manch ein “1900er+”, der gestern “geschwänzt” hat, könnte sich bei seiner nächsten VM-Partie ganz schön umgucken, wenn sein vermeintlich schwächerer Vereinskollege zielbewusst das Bauernendspiel anstrebt, weil er aufgrund der von Fabian erläuterten Temporegel (”Ziehe zuerst diejenigen Bauern, die nicht auf ihren Ausgangsfeldern stehen!”) die Stellung bereits zum Gewinn ausanalysiert hat oder sich der besonderen Geometrie des Schachbretts bewusst ist und sich somit in scheinbar verlorener Position noch mit dem Reti-Mannöver rettet.

Na, liebe “1900er+”! Wissensdefizite? Dann man schnell im Buch nachgeschaut oder …

… einen der gestern anwesenden “1600er-” fragen … :-)

Ich persönlich freue mich schon auf Fabians nächsten Vortrag , der sich mit den Turmendspielen beschäftigen wird, und werde vorher sicherheitshalber noch einmal die Bücher wälzen, um den Brückenbau oder die Philidor-Remisstellung aufzufrischen. Man kann ja nie wissen …

3 Kommentare to “Regieren durch Opposition-Die Kunst der Bauernendspielführung”

  1. Fabianam 02 Feb 2008 um 14:52

    Kann man in den Kommentaren keine Bilder einfügen? ;-)

  2. Othmer, Michaelam 04 Feb 2008 um 20:01

    Fantastischer Schachabend, vom FM sehr sachverständig vorbereitet und vorgetragen! Als anwesender “1900+-Spieler muss ich zugeben, weniger Beispiele gekannt zu haben, als Fabian mir zugetraut hatte. 2 oder 3 Aufgaben konnte ich noch nicht einmal vollständig lösen! Für die “Turmendspiel-Veranstaltung” kann ich allen Teilnehmern nur raten, Stefans Beispiel zu folgen.

  3. Andyam 05 Feb 2008 um 23:14

    @Fabian: Doch, man kann durchaus Bilder in den Kommentaren einfügen, aber nur als authorisierter und angemeldeter Autor. Eine völlige Freigabe dieser Möglichkeit könnte zu lustigen Effekten führen, wenn jemand auf die Idee käme (und das wäre nur eine Frage der Zeit), dass alle Welt sein(e) Lieblingsfoto(s) in voller Auflösung und Größe bewundern sollte. Meine Kamera produziert z.B. standardmäßig gut 2 MB große Dateien mit einer Auflösung von 2816×2112 Pixeln. Da bleibt dann entweder vom Layout oder vom Foto nicht mehr viel übrig ;-)

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