Feb 23 2008

Philidor, Lucena et cetera

Veröffentlicht von Michael Othmer um 23:48 unter Allgemein

Die modischen Eröffnungsvarianten kommen und gehen. Die Einschätzungen verschiedener Stellungen ändern sich, und nur die Fähigkeit, die Endspiele gut zu behandeln, bleibt. Diese Fähigkeit ist absolut notwendig, um Turniererfolge zu erreichen.

KARPOV
 

Gestern bot uns FM Fabian Müller eine weitere willkommene Gelegenheit, unsere Kenntnisse in einem häufig vorkommenden Endspieltyp einer Überprüfung zu unterziehen. Ungefähr die Hälfte aller in der Praxis entstehenden Endspiele sind Turmendspiele. Die Theorie dieses Endspieltyps ist ebenso alt wie die der Bauernendspiele, denn die Gangart von König und Turm hat sich seit über tausend Jahren nicht geändert.

Wer nun erwartet hatte, dass vom Auditorium ähnliche geistige Höchstleistungen in sinnverwirrenden Variantenberechnungen verlangt würden, wie das bei den Bauernendspielen der Fall war, wurde angenehm überrascht. In Anbetracht der Komplexität, die fast allen Turmendspielen eigen ist, zog der Meister eine andere Methode der Stoffvermittlung aus seiner didaktischen Trickkiste und beschränkte sich zunächst darauf, die gängigsten aller bekannten Positionen nochmals vorzustellen, nämlich die Philidorsche Remisstellung, die Lucenasche Gewinnstellung, sowie die vielleicht weniger bekannte Karstedt-Stellung. Im Verlauf der gemeinsamen Analysen dieser Positionen bekamen die Teilnehmer dann auch noch einige wichtige Regeln an die Hand, mit deren Hilfe man im Notfall z.B. die Remisstellung nach Tarrasch erreichen kann.

Und dann, “aus heiterem Himmel”, offerierte Fabian den Wissbegierigen das “Highlight” des Abends: Das relativ bekannte Endspiel aus der Partie Aronjan - Carlsen aus dem Tal-Memorial in Moskau 2006. Hier waren dann tatsächlich die grauen Zellen der Lernenden gefragt, denn “bekannt” heißt noch lange nicht “verstanden”! Fabian ließ uns dieses Endspiel gute fündundvierzig Minuten lang in Gruppen analysieren und ich glaube nicht, dass allen Teilnehmern diese Zeit zur zufrieden stellenden Beantwortung aller vom Meister im Text aufgeworfenen Fragen reichte. Jedenfalls hätten die meisten den letztlich entscheidenden Fehler des norwegischen Wunderkindes unter dem unmittelbaren Eindruck der Lehrstunde wohl nicht begangen. Bei aller Schadenfreude darüber, dass auch die Großen nur mit Wasser kochen, sollte aber, wie Fabian richtig bemerkte, nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Partie bereits viele Stunden gedauert hatte. Magnus Carlsen lebte wahrscheinlich seit etlichen Zügen nur vom Bonus, hatte also lediglich Sekunden für jeden einzelnen Zug. Außerdem mag nach langer, hartnäckiger Verteidigung auch Müdigkeit eine Rolle gespielt haben.

Die sechzehn (später achtzehn) Teilnehmer dieser Trainingsveranstaltung waren wie immer sehr engagiert bei der Sache und selbst den Experten fiel es oft nicht leicht die richtigen Antworten zu geben, wenn jemand einen anderen als den methodisch richtigen Zug vorschlug. Selbst Fabian musste (einmal) den Computer zu Rate ziehen. Diejenigen, welche den Stoff bereits kannten, haben sicherlich in nicht geringem Maße von der Wiederholung profitiert und das Wissen sitzt jetzt fester. Außerdem habe ich noch nie jemanden getroffen, der sich selbst als “im Turmendspiel unfehlbar” bezeichnet hätte. “Ja, diese auf den ersten Blick einfach erscheinenden Stellungen stecken oft voller Schwierigkeiten!”, meinte Stefan Breuer hinterher.

Diese Trainingsveranstaltung war wieder einmal ein voller Erfolg und sollte zum besseren Verständnis eines wichtigen Endspieltyps beigetragen haben. Sie hätte eine größere Anzahl an Teilnehmern verdient gehabt, doch im Nebenraum mussten 14 Leute “nachsitzen” und VM- oder VP-Partien nachholen. Außerdem erschien der ebenfalls eingeladene Magnus Carlsen nicht.

Wie wichtig die gewonnenen Erkenntnisse schon in nächster Zukunft sein werden, ließ Fabian dann am Ende der Veranstaltung durchblicken: Ohne diese Kenntnisse wird es nämlich nicht gut möglich sein, zukünftigen Lehrveranstaltungen zu folgen, in welchen dann die wirklich komplizierten Turmendspiele thematisiert werden!

Ein Kommentar to “Philidor, Lucena et cetera”

  1. André Zeltwangeram 24 Feb 2008 um 10:10

    Dem Bericht von Otti kann ich mich nur anschließen. Fabian hat die Grundprinzipien dieses “einfachsten” aller Turmendspiele (Turm, Bauer gegen Turm) so instruktiv dargestellt, dass das Grundverständnis für Turmendspiele doch bei allen deutlich erhöht wurde, egal welcher Spielstärke. Vielen Dank Fabian, das war super.
    Allerdings wurden bereits beim Analysieren der Aronian-Carlsen-Partie die eigenen Grenzen des wirklichen Verstehens deutlich.
    Vermutlich werden wir jetzt alle schnell die Türme tauschen oder Quallen opfern, um den Turmendspielen auszuweichen.

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